Regierungsprogramm: Kapitel "Pflege"

Keine ernsthafte Regierung kann es sich leisten, das Thema zu ignorieren: Bis 2060 wird die Bevölkerung im Alter über 65 Jahren um eine Million anwachsen – doch schon jetzt empfinden viele Pflegebedürftige die staatlichen Leitungen als nicht ausreichend. Um dies zu ändern, strebt die Regierung eine – wie es heißt – "grundlegende" Reform an. Vision: Altenpflege soll so viel wie möglich daheim und ambulant erfolgen.

Als "nahe an den Menschen gedacht" beurteilt Ulrike Famira-Mühlberger die Ansätze im Regierungsprogramm. Ein Beispiel ist für die Expertin vom Wirtschaftsforschungsinstitut das nur scheinbar unspektakuläre Ziel, kostenlose und wohnortnahe Beratung in Sachen Pflege – Stichwort Case-Management – auszubauen: "Derzeit wissen viele Menschen einfach nicht, an wen sie sich wenden sollen." Eine "tolle Sache" sei auch der Plan, in 500 Gemeinden Community Nurses zu erproben. Diplomierte Pflegerinnen und Pfleger mit Draht zur Ortsbevölkerung sollen auf Abruf für Leistungen parat stehen, für die es nicht gleich einen Arzt braucht.

Gegen Kompetenz-Wirrwarr

Für nicht minder wichtig hält Famira-Mühlberger die Bündelung der Finanzierungsströme, wiewohl zuerst einmal nur von der Einsetzung einer "Taskforce" die Schreibe ist: Wie so oft im föderalistischen Österreich lähmt der Kompetenz-Wirrwarr auch das Pflegesystem. Dieser Punkt ist im Programm unter dem Schlagwort Pflegeversicherung zusammengefasst; eine echte Versicherung, wie sie die ÖVP analog zur Kranken- oder Pensionsversicherung vorgeschlagen hat, verbirgt sich nach den Buchstaben des Programms dahinter aber offenbar nicht. Weiterhin ist von einer Finanzierung aus dem Budget zu lesen.

Ein Muss ist angesichts der aktuellen Engpässe eine Personaloffensive für Pflegeberufe: Bis 2050 wird der Bedarf an Pflegekräften um 127 Prozent oder 79.000 Personen. Überdies sollen pflegende Angehörige sollen das Recht auf einen pflegefreien Tag im Monat erhalten, dazu winkt ein Pflege-Daheim-Bonus; die ÖVP warb im Wahlkampf für 1500 Euro im Jahr, das Programm nennt keine Zahl. Außerdem soll durch Prüfung der Anbieteragenturen die – vielfach dürftige – Qualität der 24-Stunden-Betreuung verbessert werden.

Vage Formulierungen

Weiters im Programm: Eine österreichweite Demenzstrategie sowie die Weiterentwicklung des Pflegegeldsystems. Die Einstufung in die verschiedenen Pflegestufen soll nach betreuendem, pflegerischem und medizinischem Bedarf unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung erfolgen.

Letztere Passage ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Pflegekapitel zwar einen ambitionierten Anspruch, aber auch viele vage Formulierungen birgt – und ankündigen fällt leichter als bezahlen. (Gerald John, 2.1.2020)